Im Philantropium herrschte ein republikanischer Geist. J.L. befreundete sich mit dem Freigeist César La Harpe aus Lausanne. Daraus entstand ein lebenslanges Engagement für die ‘res pubblica‘. J.L. errichtete eine Familienstiftung, da er keine Kinder hatte, zu Gunsten der Nachfahren seines Bruders.
Der junge Jacob Laurenz Custer
Jacob Laurenz Custer wird als Sohn reicher und vornehmer Eltern in dem Haus am Markt, das wir heute Reburg nennen, am 16. März 1755 in Altstätten geboren. Mit 14 Jahren verlässt er sein Elternhaus, um in Haldenstein bei Chur eine damals moderne, aufgeklärte Schule zu besuchen, das Philanthropium. In dieser Schule, die nur als Internat geführt wurde, lernt er Schulkollegen aus der ganzen Schweiz kennen. 1771 schickt ihn dann sein Vater nach Genf, dort macht er 3 Jahre eine Lehre als Tuchhändler, oder sagen wir besser als Grosskaufmann. Er darf reisen. Während seiner Abwesenheit ist in Rheineck Johannes Heer, der Grosskaufmann und Sohn des Erbauers des Löwenhofes, gestorben und hinterlässt ein blühendes Handelsgeschäft, aber auch eine Witwe mit einer kleinen Tochter, die im Löwenhof in Rheineck leben. Heer war auch der ledige Name der Mutter von J.L.. Die beiden sind also verwandt und so kümmert sich der junge, gut ausgebildete J.L. um das verwaiste Geschäft seiner angeheirateten Cousine. Aus verwandtschaftlichen und geschäftlichen Beziehungen wird Liebe, und die beiden, sie 14 Jahre älter als er, beschliessen zu heiraten. Custer, nun im Löwenhof in Rheineck zuhause, verbringt viel Zeit in Verona, pflegt aber, wenn er im Rheintal ist, ein gastfreundliches Haus. Er versteht es, aus dem übernommenen, florierenden Geschäft mit Fleiss und Geschick ein überaus prosperierendes Grosshandelsgeschäft aufzubauen, das Kontakte über halb Europa pflegt. Obwohl um 1790 schon das Schlösschen Weinstein durch Erbgang an die Gebrüder Custer gefallen ist, kauft Jacob Laurenz 1791 von Zeugherr Schindler aus Glarus auch das Schloss Grünenstein in Balgach, das zum Sommersitz erkoren wird.
“Liberté, égalité und fraternité”
Bis zu diesem Zeitpunkt lebte Jacob Laurenz Custer das Leben eines fleissigen, erfolgreichen, kultivierten und begüterten Kaufmanns. Schauen wir uns die Gemälde an, die bis zu diesem Zeitpunkt von ihm existieren, dann sehen wir ihn dargestellt im farbigen Just-au-corps, in reich gestickter, seidener Weste, den wertvollen Degen an der Seite, kurz, das Bild eines Grandseigneurs, der eigentlich mit dem Gedanken spielte, sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen und die Früchte seiner Wohlhabenheit zu geniessen. Aber es kam anders, nicht nur für Jacob Laurenz Custer, sondern für alle und alles. Die magischen Worte "liberté, égalité und fraternité" veränderten ganz Europa. Unter dem Drucke neuer schlechter Nachrichten wurde dann der Bitte stattgegeben und am 3. März entstand die "Republik Rheintal", als selbständiges Glied der Eidgenossenschaft. Am 26. März hielt man, nach dem Muster Appenzells, auf der Breite in Altstätten eine Landsgemeinde ab, auf der C.H. Gschwend als Landammann und Jacob Laurenz Custer als Landesstatthalter gewählt wurden. Unter dem Druck der französischen Bajonette wurde dann aber schon nach 17 Tagen, am 12. April, die Verfassung der Helvetischen Republik angenommen, was den eben erst befreiten Rheintalern gar nicht passte. Custer gab dem Druck nach, das Amt des Stadtammanns von Rheineck zu übernehmen. In der damaligen Zeit gab es wenig französisch sprechende Leute und Custer gehörte zu ihnen. Mit den neuen Herren verhandeln zu können war jetzt wichtiger denn je, denn die hohen Offiziere suchten sich auch die besten Quartiere. Die Generale Massena und Soult waren beide Gäste Custers im Löwenhof in Rheineck.
Die Erben
Die Stieftochter schenkte 1804 einem Sohn, August Constantin das Leben. Endlich schien auch die Nachfolge des umfangreichen Unternehmens gesichert. Im Herbst 1817, mit erst 55 Jahren, starb sein Bruder Johann Friedrich an einem Schlaganfall, und Jacob Laurenz kümmerte sich fortan ganz besonders um dessen Sohn August Constantin, seinen Erben. Nach 44 gemeinsamen Jahren verstarb 1820 Custers fast 80-jährige Gattin. Nun wurden die beiden Häuser, Schloss Grünenstein und der Löwenhof doch etwas gross für den einsamen Herrn, der nun Zerstreuung in der Musik und der Literatur suchte und fand. Auch ein grosses Herz hört einmal auf zu schlagen. Jacob Laurenz starb 1828, seine Taten aber wirken bis heute nach. Eine grosse Menschenmenge begleitete den Sarg auf den Friedhof in Rheineck und in die Kirche. Bereits ein Jahr nach seinem Tod wurde ihm zu Ehren im Weiher im Schlosspark ein schlichtes Denkmal errichtet. Noch nach seinem Tode verfügte Custer testamentarisch über die Vergabe von 39 500 Gulden, die im Rheintal verteilt wurden. Noch reicher stattete er den rheintalisch evangelischen Armenfonds aus, den er mit 24 000 Gulden bedachte. Custer sorgte klug dafür, dass diese Stiftungen langfristig Segen spenden sollten, indem er verbot, das Kapital anzugreifen. Nur die Zinsen wurden und werden ausgeschüttet und bei Nichtgebrauch zum Kapital geschlagen. So figurieren noch heute, so viele Jahre nach Custers Tod, diese Vermächtnisse in den Kassen öffentlicher Korporationen. Am reichsten sorgte er für die eigene Familie vor, indem er 1812 einen Custer'schen Familienfonds mit 100 000 Gulden testierte. Er, der Kinderlose, sorgte so für die Erben seines Bruders.